Wie Imagination und intentionales Lügen die Erinnerung und die Überzeugung von der Richtigkeit der Erinnerung verändern

Ann-Christin Posten & Sherin Christmann

Praxis der Rechtspsychologie 31 (1), Juni 2021, S. 123–142
Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin
https://doi.org/10.51625/pdr20210106

Zusammenfassung

Aussagen von Augenzeugen und Augenzeuginnen sind eine äußerst wichtige Informationsquelle im Rechtssystem. Allerdings wurde bislang erst wenig untersucht, wie sich Falschaussagen auf spätere Aussagen auswirken, wenn Zeugen und Zeuginnen versuchen, wahrheitsgemäße Antworten zu geben. Hierbei interessiert uns insbesondere, inwiefern intentionales Lügen über einen Sachverhalt die Überzeugung der Zeugen und Zeuginnen von dem Wahrheitsgehalt dieser Falschaussagen beeinflusst und sich in weiteren (unabsichtlichen) Falschangaben manifestiert. Um diese Fragestellung zu untersuchen, wurden Probanden und Probandinnen im Labor gebeten, sich in einer ersten Sitzung ein Video eines bewaffneten Raubüberfalls mit zwei Tätern anzusehen. Die Teilnehmenden hatten die Aufgabe, entweder über einen der beiden Täter (Tatperson A) absichtlich zu lügen (Lügen-Bedingung) oder vorgestellte Informationen vorzubringen (Imaginations-Bedingung). Tatperson B sollte in beiden Bedingungen wahrheitsgemäß beschrieben werden. Eine Woche später wurden die Probanden und Probandinnen (n = 125) online gebeten, wahrheitsgemäße Angaben über beide Tatpersonen zu machen. Zudem wurde ihre Überzeugung von dem Wahrheitsgehalt ihrer Angaben gemessen. Es zeigte sich, dass sowohl bei Lügen als auch bei Imagination über Tatperson A eine Woche später vermehrt falsche Details angegeben wurden und zudem die Überzeugung stieg, dass die gemachten Angaben wahr seien. Implikationen für die rechtspsychologische Praxis werden diskutiert.

Abstract

Eyewitness testimonies critically inform judicial decisions. Despite their importance, little attention has been directed toward the question of how false statements at one point affect later statements when eyewitnesses are motivated to answer truthfully. The present research sets out to investigate how intentional lies inflate later beliefs of eyewitnesses that their initial lies represent the truth. Furthermore, it addresses the question of how initial lies manifest later in (unintended) false claims. To address these questions, participants watched a video clip of a robbery conducted by two offenders in a first lab session. The participants’ task was to lie actively about one of the offenders (offender A) or to present imagined but not misleading information about offender A. Offender B should be described accurately in each of the two conditions. One week later, the participants (n = 125) took part in an online survey instructing them to provide truthful information on both offenders and to report how much they believed their provided information to be true. Results showed that in both conditions (lie vs. imagination) participants reported more false information about offender A and truth beliefs about the information provided were inflated. Implications for forensic practitioners are discussed.

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Gegründet als Mitteilungsblatt für die Mitglieder der Sektion Rechtspsychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) hat sich die Zeitschrift Praxis der Rechtspsychologie im Laufe der Jahre zu einem renommierten Fachorgan entwickelt, das Bezüge zwischen Wissenschaft und Praxis herstellt und somit einen Beitrag zu einer wissenschaftlich begründeten Praxis liefert. Neben den Themenbereichen der Rechtspsychologie werden psychologisch relevante juristische und rechtspolitische Probleme behandelt. Jede Ausgabe enthält mehrere Beiträge zu einem Schwerpunktthema, zudem Diskussions- und Praxisbeiträge, Falldarstellungen, Tagungsberichte, Rechtsprechung und Literaturhinweise. Die Schwerpunktthemen werden durch Gastherausgeber:innen koordiniert.

Die Zeitschrift richtet sich auch an Vertreter:innen angrenzender Fachgebiete wie Justiz, Anwaltschaft, Ministerien, Gerichte, Rechts-, Sozial- und Kriminalpolitik sowie im Bereich der sozialen Arbeit Tätige.

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