Religion und Weltanschauung in der Erziehung: verfassungsrechtliche Freiheiten und Grenzen

Leon A. Brandt & Thomas Meysen

Praxis der Rechtspsychologie 31 (1), Juni 2021, S. 103–122
Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin
https://doi.org/10.51625/pdr20210105

Zusammenfassung

Kindererziehung ist ein vielschichtiger durch verschiedene Akteurinnen geprägter Nexus. Im Mittelpunkt steht der heranwachsende Mensch, dessen Recht auf Förderung seiner Entwicklung sowie auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gesellschaftsfähigen Persönlichkeit. Das Recht zur Erziehung kommt in erster Linie den Eltern zu, ist gleichzeitig eine Pflicht und hat fiduziarischen Charakter (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Die elterliche Erziehung erstreckt sich auch auf politische bzw. religiös-weltanschauliche Fragen, auf die Vermittlung von Werten und Grundhaltungen. Grenzen findet das religiös-weltanschauliche Erziehungsrecht hingegen in seiner missbräuchlichen Ausübung. Zugespitzt lässt sich festhalten, dass unterhalb dieser Schwelle auch eine Erziehung zu extremistischer Weltanschauung oder fundamentalistischer Religiosität grundsätzlich zulässig ist. Verfassungsrechtlich stellt sich die Frage, inwieweit der Staat beziehungsweise die Erziehung in öffentlicher Verantwortung hierauf Einfluss nehmen darf. Das Feld religiös-weltanschaulicher Kindererziehung ist durchwirkt vom verfassungsrechtlichen Gebot staatlicher Neutralität in Glaubensfragen. In seiner deutschen Prägung meint dies keine strikte und vollkommene Trennung von Staat und Glaubensgesellschaften. Vielmehr beschreibt es eine offene, übergreifende, die grundrechtliche Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Das Geflecht erzieherischer Kompetenzen zwischen Kind, Eltern und Staat wird damit zwar nicht verändert, aber bereichsspezifisch ausgeformt. Der Staat kann seine eigene Neutralität nur dadurch gewährleisten, dass er allen Bürgerinnen gleichermaßen die verhältnismäßig gerechte Ausübung ihrer grundrechtlichen Freiheiten ermöglicht. Nicht nur die Kindeswohlgefährdung ist somit wesentliche Begrenzung des elterlichen Erziehungsrechts, sondern auch die Wahrung der Grundrechte Anderer sowie der Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung kann ein Einwirken auf Erziehung legitimieren.

Abstract

The upbringing of children is a multi-layered nexus shaped by different agents. The adolescent human being stands at the centre, his*her right to development advancement and to being raised to a self-reliant and social personality. The right to parenting lies with the parents. It is, at the same time, an obligation and has fiduciary character (Art. 6 (2) 1 Federal Basic Law). Parenting includes political, religious and ideological matters as well as the transmission of virtues and beliefs. The religious and/or ideological parental rights are limited by misuse. Provocatively, in principal one can say that parenting based on a radical world view or fundamental religious belief is lawful. In terms of constitutional law the relevant question is: To which extent does the state have a right to exert influence on parenting and what public responsibility is assigned to the state? The field of religious and ideological education is interwoven by the constitutional demand for neutrality in matters of faith. In its German characteristic this does not indicate a laicistic approach with a strict and complete separation of state and religious groups. In fact, it describes an open, overarching, and enhancing position towards the constitutionally guaranteed freedom of faith which the state shall enhance for all. Though, the interrelations between children, parents and the state concerning the right to child-rearing are not changed in that respect, its legal interpretation is area specific. The state can only provide for neutrality if it ensures everyone a commensurate equitable exercise of their fundamental rights to freedom of religious and ideological beliefs. Therefore, not only child endangerment is a substantial restriction of parental rights but also the protection of basic rights of others as well as the values of a free democratic basic order may legitimise the state to proportionally influence the upbringing of children.

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