Die Bindung an die extremistische Ideologie bei jihadistisch motiviertem Extremismus: Ein normenbasiertes Radikalisierungsschema zur Beurteilung der Radikalisierung und Deradikalisierung

Stefan Tydecks

Praxis der Rechtspsychologie 31 (1), Juni 2021, S. 29–52
Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin
https://doi.org/10.51625/pdr20210102

Zusammenfassung

In der Radikalisierungsforschung beschränkt sich die Darstellung von Forschungsergebnissen häufig auf die Auflistung statischer Persönlichkeitseigenschaften. Radikalisierungsmodelle werden oft abgeleitet aus Theorien, die nicht in der Radikalisierungsforschung entwickelt worden sind. Potenzielle Risikomerkmale für Radikalisierungen werden aufgelistet, die zugrundeliegenden psychologischen Mechanismen jedoch kaum spezifiziert. In der praktischen Entscheidungsfindung hat das wenig Nutzen. Notwendig ist ein Modell, das die psychologischen Mechanismen der Bindung des Einzelnen an eine Ideologie abbildet, um den individuellen Radikalisierungsverlauf darstellen zu können.

In diesem Beitrag wird aus dem Blickwinkel der Anwendbarkeit und basierend auf der praktischen Erfahrung aus der Beurteilung verurteilter Terroristen ein alternativer Zugang skizziert. Das vorgeschlagene Schema kann den diagnostischen Prozess bei dieser Personengruppe strukturieren und Unterstützung geben, Behandlungsverläufe sowie Prozesse der Deradikalisierung einzuschätzen. Grundlage für die hiesigen Ausführungen sind Angaben aller von 2010 bis 2020 wegen jihadistisch motivierter Delikte verurteilten Strafgefangenen, die nach der Untersuchungshaft direkt in Berliner Strafhaft gekommen sind. Abschließend werden Hinweise zur praktischen Durchführung des diagnostischen Prozesses und zur Gestaltung von Präventionsmaßnahmen gegeben.

Abstract

In radicalization research, the presentation of research results is often limited to lists of static personality traits. Radicalization models are often derived from theories that were not developed in radicalization research. Potential risk characteristics for radicalization are listed, but the underlying psychological mechanisms are hardly specified. This is of little use when practical decisions have to be made. What is needed is a model that depicts the psychological mechanisms of the individual’s attachment to an ideology to make the individual’s radicalization process understandable.

This article outlines an alternative approach from the perspective of applicability and based on practical experience from the assessment of convicted terrorists. The proposed scheme can structure the diagnostic process for this group of people and provide support in assessing the course of treatment and processes of deradicalization. The basis for the statements here are information from all prisoners convicted of jihadist offenses between 2010 and 2020 who were sent directly to prison in Berlin after their pre-trial detention. Finally, information on the practical implementation of the diagnostic process and the design of preventive measures are given.

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