Der familienrechtspsychologische Sachverständige im Spannungsfeld zwischen Recht und Fachwissenschaft

Joseph Salzgeber & Katharina Bublath

Praxis der Rechtspsychologie 33 (1), Juli 2023, S. 121–144
Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin
https://doi.org/10.51625/pdr20230105

Zusammenfassung

Im familiengerichtlichen Verfahren sind in erster Linie Jurist:innen, neben Sozial-Pädagog:innen und Psycholog:innen involviert. Richter:innen beauftragen Psycholog:innen, damit diese ihnen mit ihrem Sachverstand bei der Entscheidungsfindung helfen. Diese Zusammenarbeit ist einerseits für beide Berufsgruppen ergänzend, unterstützend, vielseitig und anspruchsvoll. Andererseits birgt sie aber aufgrund der unterschiedlichen Grundausbildungen Fallstricke für Missverständnisse z. B. bei den verwendeten Begrifflichkeiten und Herangehensweisen an die Fragestellungen. Diesem Spannungsfeld zwischen Psychologie und Rechtswissenschaften sind (nicht nur) die familienrechtspsychologischen Sachverständigen ausgesetzt. Sie müssen die juristischen Rahmenbedingungen zwar unbedingt beachten, dürfen sich aber dadurch nicht in ihrer eigentlichen Wissenschaft – der Psychologie – zu sehr einengen lassen. Vor allem bei Fragestellungen zu Betreuungsregelungen für ein Kind wird dies deutlich.

Zeitgleich besteht seit einiger Zeit die Diskussion um die Qualität der am Familiengericht tätigen Fachpersonen. Gutachten familienrechtspsychologischer Sachverständiger stehen hierbei wieder vermehrt im Fokus der Kritik, was sich nicht nur in einschlägigen Publikationen[1] und Beiträgen von Anwält:innen[2] zeigt. Vor allem verunsichert die Sachverständigen die Zunahme von Zivilrechtsverfahren und Vorwürfen von angeblichen Datenschutzverletzungen gegen ihre Person.[3]

Um die zunehmende, nicht selten aggressive Kritik, seitens einiger Anwält:innen – die sich auf oftmals überzogene Gegengutachten beziehen –, Haftungsklagen oder mögliche Kürzungen des Entschädigungsantrages zu vermeiden, werden immer differenziertere schriftliche Gutachten erstellt. Dies beruht unter anderem mit auf der falschen Annahme, die von den Anwält:innen oder Gegengutachter:innen formulierten Ansprüche entsprächen auch tatsächlich den rechtlich vorgegebenen Anforderungen an familienrechtspsychologische Gutachten oder den Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht.[4]

Diese damit einhergehenden, meist formale Aspekte der Begutachtung betreffende Ausdifferenzierung der schriftlichen Gutachten führt zu einer längeren zeitlichen Dauer der Begutachtungen und höheren Kosten. Es besteht die Besorgnis, dass die Qualität eines Gutachtens vor allem an Formalien gemessen wird und weniger an der Relevanz für das Kindeswohl. Der wesentliche Aspekt, dass ein Gutachten auf der Grundlage fachwissenschaftlicher Erkenntnisse dem Kindeswohl dienen und zur Lösungsfindung beitragen, zudem keine belastende Situation für das Kind aufrechterhalten sollte, rückt damit in den Hintergrund.

Der vorliegende Beitrag versucht auf Grundlage eigener Erfahrungen und Diskussionen mit vielen Kolleg:innen eine Analyse dahingehend, ob sich der erhöhte formale Anspruch tatsächlich aus den Rechtsvorschriften des Verfahrensrechts oder aus dem BGB ableiten lässt und welche Möglichkeiten das Recht bietet, beim Begutachtungsprozess bei Fragen zu Sorge- und Umgangsrecht das Kindeswohl mehr in den Mittelpunkt zu stellen.


[1] Körner/Hörmann, (Hrsg.), Familienrechtliche Gutachten und Verfahren auf dem Prüfstand – Informationen für Betroffene, Sachverständige; Jurist:innen, Psycholog:innen, Jugendamtsmitarbeiter:innen, 2022 (wurde vom Verlag zurückgezogen) ; Nadolny, Erziehungsfähigkeitsgutachten, Russisch Roulette, 2021.

[2] Bergmann, Interdisziplinäre Arbeit als juristische Aufgabe, in Körner/Hörmann (Hrsg.)2022, 114; Korn-Bergmann, Gutachter – „Heimliche Richter/in“ in Kindschaftsverfahren?, FamRB 2013, 302; Korn-Bergmann/Purschke, Gutachter – „Heimliche Richter/in“ in Kindschaftsverfahren?, FamRB 2014, 26.

[3] Z. B. OLG Hamm NZFam 2022, 204, NZFam 2021, 943 bespr. v. Reinert; OLG Karlsruhe BeckRS 2021; Salzgeber/Bublath/Posten, Wird der/die Sachverständige zum Buhmann im familienrechtlichen Verfahren?, FF 2020, 474.

[4] Arbeitsgruppe Familienrechtliche Gutachten, Mindestanforderungen an die Qualität von Sachverständigengutachten im Kindschaftsrecht, 2. Aufl. 2019, u.a. NZFam 2019, 804.

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