Legitimation freiheitsentziehender vorbeugender Eingriffe: Sozialverteidigung, Verbrechensverhinderung oder Gefahrenabwehr?

Siegmar Lengauer

Praxis der Rechtspsychologie 32 (1), Juni 2022, S. 51–67
Deutscher Psychologen Verlag GmbH, Berlin
https://doi.org/10.51625/pdr20220102

Zusammenfassung

Vorbeugende Eingriffe in die persönliche Freiheit bedeuten ein schwerwiegendes Legitimationsproblem im Strafrecht: Sie stellen uns vor die Frage, ob es auch ohne eine Bindung an die persönliche Verantwortung, die Schuld, möglich ist, den Schutz der Freiheit des:der Einzelnen und den Schutz der Gesellschaft angemessen zu vereinbaren. Die Gefahr besteht darin, dass die Aussicht auf mehr Sicherheit dazu verleiten könnte, leichtfertig eine Objektivierung des betroffenen Menschen in Kauf zu nehmen. Dadurch würden wir jedoch gegen einen (straf-)rechtlichen Grundsatz verstoßen: Der:die Einzelne ist stets als Person und damit als Rechtssubjekt zu würdigen und darf nicht zum bloßen Objekt der Zweckerreichung degradiert werden. Fraglich ist also, ob diese Maxime auch in der sogenannten zweiten Spur des Strafrechts wirkmächtig ist.

Abstract

Preventive measures constitute a serious legitimatory challenge within the field of criminal law: They pose the question, whether it is possible to reconcile the protection of personal liberty with the protection of the safety of the general public, without the binding effect of personal responsibility, i.e. guilt. It is a concern, that the need for greater protection might lead us to accept a degree of objectification of a certain group of offenders, that we – as a legal community – would normally oppose. A liberal legal system is founded on the principle, that an individual is to be treated as a person, not as a mere cause of danger. It is debatable, if this principle holds true within the so called second lane of modern criminal law.

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Die Zeitschrift richtet sich auch an Vertreter:innen angrenzender Fachgebiete wie Justiz, Anwaltschaft, Ministerien, Gerichte, Rechts-, Sozial- und Kriminalpolitik sowie im Bereich der sozialen Arbeit Tätige.

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